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Subjektphilosophie und ,,Selbstbeschreibung`` der Gesellschaft

Luhmann beginnt das Kapitel mit einer Definition, indem er das Subjekt von der Substanz abgrenzt und als die ,,Selbstreferenz selbst als Grundlage von Erkennen und Handeln`` (Luhmann , 1997: 868) bezeichnet. Diese Denkfigur will Luhmann nicht ,,ohne weiteres auf die Gesellschaft`` übertragen, sondern vielmehr die ,,Ergebnisse der Subjektphilosophie`` wie ,,Untiefen ansehen, auf die das Schiff der Gesellschaftstheorie nicht auflaufen soll`` (Luhmann , 1997: 868). Luhmann geht es also in diesem Kapitel ausdrücklich darum zu prüfen, ob die Gesellschaft, nach seiner Definition das umfassendste soziale System, als Subjekt gedacht werden kann. Mit anderen Worten: Luhmann wirft die Frage auf, ob eine ,,Denkfigur``, die in der Philosophie zur Beschreibung psychischer Systeme entwickelt wurde, zur Beschreibung eines sozialen Systems geeignet sein könnte, und gerät damit in das logisch-begriffliche Problem, das im vorangegangenen Abschnitt dargestellt wurde.

Zwei Ergebnisse der Subjektphilosophie - was bzw. wen Luhmann mit diesem Begriff genau meint, bleibt zunächst unklar - bleiben für ihn ,,wichtig und übernehmbar`` (Luhmann , 1997: 868). Zum einen möchte Luhmann festgehalten wissen, daß ,,die auf operativer Ebene (klassisch: als Denken) etablierte Selbstreferenz alle codierten Vorgaben unterläuft`` (Luhmann , 1997: 868) und das Bewußtsein sich selbst ,,kriterienlos`` identifizieren kann, weil ,,sowohl Codierungen als auch Kriterienbildung`` ,,Eigenleistungen3 der selbstreferentiellen Operationsweise`` sind (Luhmann , 1997: 869).4 Anders gewendet: Psychische System sind sich ihrer selbst einerseits gewiß, können die Gültigkeit ihrer Selbstbeschreibung andererseits aber nicht garantieren. Dieses Ergebnis will Luhmann offenbar auf die Gesellschaft übertragen - zumindest legt das die Fußnote 5 nahe, in der Luhmann auf einen Beitrag von Dieter Henrich hinweist, der sich explizit dagegen ausspricht, ,,diese und andere Einsichten über Selbstverhältnisse vom Individuum auf die Gesellschaft zu übertragen`` (Luhmann , 1997: 869). Für Luhmann ist ,,das Phänomen der kriterienlosen Selbstidentifizierung historisch zuerst am Bewußtsein entdeckt worden``, was nicht bedeuten muß, ,,daß dies der einzige Fall ist und bleibt`` (Luhmann , 1997: 869). Der Gesellschaft, von ihm zu Beginn des Werkes als Kommunikationsprozeß bzw. als System von Kommunikationen definiert (Luhmann , 1997: 78), könnte also nach Luhmann möglicherweise als ein Selbst, das sich ,,kriterienlos identifiziert``, gedacht werden.

Ein zweites Ergebnis der Subjektphilosophie sieht Luhmann in der

,,operativen Fassung des Reflexionsbegriffs mit der Implikation, daß die Operation in ihrem Vollzug weder die Möglichkeit hat noch darauf angewiesen ist, sich selbst ihrem Thema einzuordnen, sich selbst mitzureflektieren`` (Luhmann , 1997: 869).

Dieser Satz läßt sich in zwei voneinander unabhängige Aussagen zerlegen. Zum einen unterstellt Luhmann wohl zurecht, aber ohne konkreten Beleg, daß die Reflexion in der Subjektphilosophie ,,operativ``, d. h. als analysierbarer Vorgang gedacht wird. Später wird sich zeigen, daß er hierin eine Parallele zu seiner eigenen Theoriebildung sieht.

Dieser Befund wird aber im selben Satz schon wieder problematisiert: Die ,,Operation`` (darunter versteht Luhmann vermutlich den Vorgang des Reflektierens) hat nicht die Möglichkeit, sich selbst ,,mitzureflektieren`` und bedürfe dieser Möglichkeit auch gar nicht. Luhmanns Formulierung an dieser Stelle ist unpräzise, denn man kann sich nur schwer vorstellen, wie ein Vorgang sich selbst reflektieren soll. Gemeint ist vermutlich, daß das reflektierende Subjekt die Tatsache, daß sein Weltbild von ihm selbst nicht unabhängig ist, beim Beobachten nicht mitreflektiert bzw. den Modus des Beobachtens nicht entsprechend gestaltet und sich der Problematik der Selbstbeobachtung nicht bewußt ist. Das Subjekt der Subjektphilosophie, so Luhmann, habe auch dieses (von ihm nicht klar definierte, möglicherweise zweidimensionale) ,,Problem noch mit dem Schema Subjekt/Objekt einzufangen versucht`` und sei damit ,,gescheitert`` (Luhmann , 1997: 869). Da der Autor auch hier auf die Angabe einer Belegstelle verzichtet und sich statt dessen auf Jean-Paul beruft, ist diese Unterstellung substantiell nicht nachprüfbar. Vor dem Hintergrund der kritischen Philosophie Kants scheint es aber kaum angebracht, der Subjektphilosophie pauschal Naivität zu unterstellen, wie es hier geschieht.


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Kai Arzheimer
2001-07-09