Ist der Osten wirklich rot? Das Wahlverhalten
bei der Bundestagswahl 2002 in Ost-West-Perspektive
Als am 3. Oktober
1990 durch den Beitritt der neuen Länder zur Bundesrepublik Deutschland die
Einheit Deutschlands wiederhergestellt wurde, glaubten etliche Beobachter,
daß sich nun die Gewichte zugunsten der SPD verschieben würden. Für diese
Vermutung sprachen im wesentlichen drei Gründe: die Sozialstruktur der neuen
Länder, deren bis ins Kaiserreich zurückreichende politische Traditionen und
nicht zuletzt die Erwartung, daß das sozialistische DDR-Regime die Präferenzen
und Wertorientierungen der Menschen nachhaltig im Sinne einer „linken“ Politik
geprägt haben müsse.
Das Wahlergebnis von 1990 schien die Hypothese
vom strukturellen Vorteil der Sozialdemokraten jedoch zu widerlegen: Mit einem
Zweitstimmenanteil von knapp 42 Prozent wurde die Union im Beitrittsgebiet
mit weitem Abstand zu allen anderen Parteien zur stärksten Kraft, während
die SPD dort nicht einmal ein Viertel der gültigen Zweitstimmen auf sich vereinen
konnte. Besonders schlecht schnitten die Sozialdemokraten ausgerechnet in
den alten Industrierevieren im Süden der ehemaligen DDR ab, die in der Weimarer
Republik zu den Hochburgen der linken Parteien gehört hatten. Umfragedaten
bestätigten den Eindruck, der sich aus der regionalen Stimmenverteilung ergab:
Etwa 50 Prozent der ostdeutschen Arbeiter hatten ihre Zweitstimme der CDU
gegeben, während der Anteil der SPD-Wähler in dieser Gruppe fast exakt dem
Durchschnittswert der neuen Länder entsprach.
[1]
Der aus der alten Bundesrepublik bekannte Zusammenhang
zwischen Berufsgruppenzugehörigkeit und Wahlentscheidung schien sich in den
neuen Ländern zumindest zeitweilig umgekehrt zu haben.
[2]
Bitte beachten Sie: Es handelt sich bei diesem Text nicht um die endgültige Druckfassung, sondern um ein Manuskript. Bitte zitieren Sie deshalb bitte nur nach der gedruckten Fassung! |
Als die Union jedoch vier Jahre später schwere
Verluste in fast allen Bevölkerungsgruppen hinnehmen mußte, stimmten auch
die Arbeiter in den neuen Ländern mit einer deutlichen Mehrheit für die SPD,
[5]
was nun wiederum als Anzeichen für die seit längerem erwartete
Angleichung des ostdeutschen Wahlverhaltens an die aus dem Westen bekannten
Muster gewertet wurde.
[6]
Hypothesen zum Wahlverhalten der Ostdeutschen |
|
„Umkehrung“ |
Umkehrung der für die alten Länder relevanten
Muster des Wahlverhaltens; Arbeiter unterstützen habituell CDU (widerlegt) |
„Normalisierung“ |
Angleichung an die aus dem Westen bekannten
Gesetzmäßigkeiten; Arbeiter unterstützen habituell die SPD (unplausibel) |
„Differenzierung“ |
Wahlverhalten folgt grundsätzlich anderen
Mustern als in den alten Ländern; Arbeiter orientieren sich wie die
meisten Wähler in erster Linie an Themen und Personen |
Tabelle
1: Hypothesen zum Wahlverhalten der Ostdeutschen
Gegen eine „Normalisierung“ des ostdeutschen Wahlverhaltens
sprechen jedoch u.a. die aus westlicher Perspektive höchst ungewöhnlichen
Erfolge der DVU (1998) und der FDP (2002) bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt,
die trotz der Verluste in jüngster Zeit nach wie vor starke Stellung der PDS
in den neuen Ländern, die häufig sehr niedrige Wahlbeteiligung sowie die teils
beträchtlichen Abweichungen zwischen den Ergebnissen von Landtags- und Bundestagswahlen,
die im Abstand von nur wenige Monaten stattfanden.
[7]
Bis auf weiteres scheint es also kaum Anzeichen für eine
Annäherung des Wahlverhaltens von Ost- und Westdeutschen zu geben. Die bisherigen
Ergebnisse deuten vielmehr darauf hin, daß sich die Muster des Wahlverhaltens
in den neuen Ländern weiterhin grundsätzlich von den aus den alten Ländern
bekannten Verhältnissen unterscheiden. Deshalb wollen wir in diesem Beitrag
die vierte gesamtdeutsche Bundestagswahl zum Anlaß nehmen, Umfang, Ursachen
und Entwicklung der nach wie vor bestehenden Ost-West-Unterschiede im Überblick
zu analysieren.
II. Das Wahlverhalten
bei der Bundestagswahl 2002 in Ost-West-Perspektive
Einen ersten Überblick über das Ausmaß der Kluft zwischen Ost und West
kann man sich verschaffen, indem man für die in den neuen Ländern erfolgreicheren
Parteien die Ost-West-Differenzen sowie eine eventuelle positive Ost-West-Differenz
des Nichtwähleranteils aufsummiert. Auf diese Weise erhält man eine Maßzahl,
die im Falle eines in Ost und West identischen Wahlergebnisses den Wert null
annimmt, während ihr theoretisches Maximum bei einem Wert von 100 liegt.
[8]
Führt man diese Berechnung für das Ergebnis der Bundestagswahl
2002 durch, so zeigt sich, daß es auch nach dem vierten gesamtdeutschen Urnengang
kaum Hinweise auf eine Angleichung des Wahlverhaltens zwischen beiden Landesteilen
gibt. Mit einem Indexwert von 23,2 haben sich die Unterschiede zwischen alten
und neuen Ländern zwar gegenüber den Bundestagswahlen von 1998 (25,1) und
1994 (24,2) leicht abgeschwächt, liegen aber immer noch deutlich über dem
bereits relativ hohen Wert von 17,8, der bei der Vereinigungswahl im Dezember
1990 erreicht wurde.
Im wesentlichen gehen die in dem Indexwert zusammengefaßten
Ost-West-Unterschiede auf Muster der Stimmenverteilung zurück, die bereits
bei den Wahlen von 1994 und 1998 zu beobachten waren (vgl. Abbildung 1): Die
Union ist im Westen deutlich erfolgreicher als im Osten; die PDS bleibt in
den neuen Ländern die drittstärkste Kraft, während sie im Westen weiterhin
als Splitterpartei gelten muß; umgekehrt sind Grüne und FDP in den alten Ländern
erheblich stärker als in den neuen.
Abbildung 1: Die Stimmenverteilung
2002 in Ost-West-Perspektive
Quelle:
Errechnet aus dem amtlichen Endergebnis; Prozentuierungsbasis: Wahlberechtigte.
Bei näherer Betrachtung zeigen sich jedoch gegenüber
den vorangegangenen Wahlen einige interessante Veränderungen. Für die Union
hat sich die Schere zwischen den Ergebnissen im Osten und im Westen noch weiter
geöffnet: Im Gebiet der alten Bundesrepublik kann sie gegenüber dem sehr schlechten
Ergebnis von 1998 leichte Zugewinne verzeichnen, die allerdings zum größten
Teil auf das herausragende Abschneiden der CSU in Bayern zurückgehen, in den
neuen Ländern hingegen hat sie - wie schon bei den beiden vorangegangenen
Wahlen - abermals an Unterstützung verloren. Spiegelbildlich dazu haben sich
die Stimmenanteile der SPD entwickelt: Hier stehen deutliche Verluste im Westen
leichten Gewinnen im Osten gegenüber. Im Ergebnis gelang es den Sozialdemokraten
als einziger Partei, ost- und westdeutsche Wahlberechtigte in annähernd gleichem
Umfang für sich zu gewinnen.
Auch bei den kleineren Parteien zeichnen sich gegenüber
den Wahlergebnissen der 1990er Jahre Veränderungen ab. Bündnis 90/ Die Grünen
haben vor allem im Westen an Stimmen hinzugewonnen, während die Partei im
Osten auf niedrigem Niveau stagniert. Im Gegensatz dazu konnte die FDP in
beiden Landesteilen deutliche Gewinne verbuchen, auch wenn diese hinter den
hochgesteckten Zielen zurückblieben. In den neuen Ländern erzielten die Liberalen,
die sich während der 1990er Jahre ähnlich wie die Grünen zu einer westdeutschen
Regionalpartei entwickelt hatten, damit ihr bestes Ergebnis seit der Ausnahmewahl
von 1990. Schwere Verluste mußte hingegen die PDS hinnehmen: Während der Stimmenanteil
der Postsozialisten im Westen auf niedrigstem Niveau konstant blieb, verlor
die Partei im Osten gegenüber 1998 mehr als ein Drittel ihrer Wähler und ist
jetzt erstmals seit 1990 mit lediglich zwei Abgeordneten im Bundestag vertreten.
Ein letzter großer Unterschied im Wahlverhalten
von Ost- und Westdeutschen, der sich nur indirekt
[9]
auf das Kräfteverhältnis im Parlament auswirkt, wurde vor
dem Hintergrund des Kopf-an-Kopf-Rennens zwischen Regierungskoalition und
bürgerlicher Opposition in der Wahlberichterstattung fast übersehen: Während
sich im Westen der Nichtwähleranteil gegenüber 1998 kaum verändert hat, ist
die Wahlbeteiligung in den neuen Ländern um mehr als sieben Prozentpunkte
gesunken. Die Nichtwähler stellen damit wie schon 1990 und 1994 die zweitgrößte
Gruppe unter den ostdeutschen Wahlberechtigten dar. Anders als zu Beginn der
1990er Jahre wird dies in der politischen Öffentlichkeit jedoch nicht als
Zeichen für eine Krise des politischen Systems wahrgenommen.
Bereits diese kursorische Betrachtung zeigt, daß
sich das Wahlverhalten in Ost und West nicht nur in quer-, sondern auch in
längsschnittlicher Betrachtungsweise unterscheidet: Seit der Vereinigung ist
es in den neuen Ländern immer wieder zu Kräfteverschiebungen zwischen den
politischen Lagern gekommen, die weitaus dramatischer waren als im Westen.
Mit Hilfe des sogenannten Pedersen-Index, in den die summierten Gewinne der
erfolgreichen Parteien sowie ein eventueller Anstieg des Nichtwähleranteils
eingehen, lassen sich solche Aggregatveränderungen
[10]
quantifizieren. Erwartungsgemäß erreicht der Pedersen-Index
in den neuen Ländern mit 10,1 Punkten auch 2002 einen Wert, der deutlich über
dem langjährigen Durchschnitt der alten Länder liegt.
[11]
Gegenüber den Wahlen von 1994 und 1998 hat sich der Abstand
zwischen beiden Landesteilen allerdings etwas verringert (vgl. Abbildung 2).
Abbildung 2: Die Entwicklung des
Pedersen-Index von 1953 bis 2002-10-31
Quelle:
Errechnet aus den amtlichen Wahlergebnissen, Prozentuierungsbasis: Wahlberechtigte
Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß fast
zwölf Jahre nach der Vereinigung beider deutscher Staaten im Osten die Chancen
der Parteien von Wahl zu Wahl immer noch erheblichen Schwankungen unterliegen.
Zu einer Stabilisierung des Parteiensystems, wie sie sich in der alten Bundesrepublik
während der 1950er Jahre vollzogen hat, ist es in den neuen Ländern bislang
nicht gekommen. Vielmehr hat seit 1990 jede einzelne Bundestagwahl zu einer
deutlichen Umgestaltung der politischen Landschaft geführt, ohne daß dies
eine Annäherung an die aus dem Westen Deutschlands bekannte Verteilung der
politischen Kräfte gehabt hätte.
III.
Sozialstruktur und Parteibindungen im vereinigten Deutschland
Obwohl die Zahl der Nicht- und Wechselwähler seit
den 1970er Jahren zugenommen hat, ist das Wahlverhalten in der alten Bundesrepublik
nach wie vor von einer erstaunlichen Kontinuität geprägt. Bei einem großen
Teil der Bürgerinnen und Bürger lassen sich langfristig stabile, oft emotional
aufgeladene Bindungen an eine Partei nachweisen, die als „Parteiidentifikationen“
bezeichnet werden und die Wahlentscheidung in einem erheblichen Umfang steuern.
Nach dem in der Wahlforschung weithin akzeptierten Ann-Arbor-Modell
[12]
haben solche Parteibindungen einerseits einen unmittelbaren
Einfluß auf die Wahlentscheidung. Darüber hinaus wirken sie aber auch indirekt,
weil zwei andere wichtige Faktoren der Wahlentscheidung, insbesondere die
relevanten politischen Themen sowie die zur Wahl stehenden Personen, häufig
durch einen parteipolitisch gefärbten Filter wahrgenommen werden.
In Deutschland standen diese Parteibindungen in
der Vergangenheit ihrerseits häufig in einem engen Zusammenhang mit sozialen
Merkmalen wie der Berufsgruppe und der Konfession.
[13]
Gewerkschaftlich gebundene Arbeiter bildeten die Kernklientel
der SPD, während sich praktizierende Katholiken weit überdurchschnittlich
häufig den Unionsparteien verbunden fühlten. In abgeschwächter Form galt diese
Aussage auch für Arbeiter, die keiner Gewerkschaft angehörten bzw. für kirchlich
aktive Protestanten.
Diese Zusammenhänge lassen sich historisch
[14]
erklären: Im Umfeld der Reichsgründung von 1870/71 kam
es in Deutschland zu tiefgreifenden sozio-politischen Konflikten, unter denen
zwei besonders wichtig waren: Die Frage der Integration der Katholiken in
das mehrheitlich preußisch-protestantisch geprägte Reich (Stichwort „Kirchenkampf“)
sowie der Interessengegensatz zwischen Arbeitern und Unternehmern. Im Verlauf
dieser Auseinandersetzungen schlossen die von diesen Konflikten betroffenen
gesellschaftlichen Gruppen bzw. deren Organisationen Bündnisse mit den damals
entstehenden politischen Parteien. Dies war um so leichter möglich, als die
Gruppen der Katholiken und der Arbeiter im Kaiserreich und auch noch in der
Weimarer Republik sogenannte „sozial-moralische
Milieus“ bildeten, die sich durch ein hohes Maß von gruppeninternen Interaktionen
auszeichneten und über je eigenen Wertsysteme sowie über dichte organisatorische
Netzwerke (Vereine, soziale Einrichtungen etc.) verfügten, in die die Gruppenmitglieder
fest eingebunden waren.
[15]
Zentrumspartei und SPD wurden deshalb in erster
Linie von Katholiken bzw. Arbeitern gewählt und versuchten im Gegenzug, die
Interessen ihrer Klientel im politischen Prozeß zu vertreten. Stabilisiert
wurden diese Koalitionen zwischen Parteien und Bevölkerungsgruppen einerseits
durch Verflechtung auf der Ebene der Partei- und Verbandseliten, andererseits
durch psychologische Mechanismen wie internalisierte Wahlnormen, ideologische
Grundüberzeugungen und Parteiidentifikationen auf seiten der Wähler.
Die Position eines Bürgers in der Sozialstruktur
hatte deshalb einen erheblichen Einfluß auf die Wahlentscheidung, auch wenn
dieser Zusammenhang bereits im Kaiserreich und in der Weimarer Republik keineswegs
deterministisch war.
[16]
Nach dem Zweiten Weltkrieg lösten sich in der Bundesrepublik
im Zuge eines allgemeineren Wandels der politischen Kultur die engmaschigen
Beziehungsnetzwerke der Milieus zunächst langsam, dann immer rascher auf.
[17]
Parallel dazu verloren Katholizismus und Zugehörigkeit
zur Arbeiterschaft auch rein quantitativ an Bedeutung für das Wahlverhalten,
da der Anteil der praktizierenden Katholiken an der Gesamtbevölkerung ebenso
wie der der Arbeiter seit den 1950er Jahren stetig sank.
[18]
Dieser Prozeß einer (partiellen) Entkoppelung von Sozialstruktur
und Wahlverhalten wurde von den großen Parteien mit vorangetrieben, auch wenn
diese gelegentlich die alten Konflikte in Erinnerung riefen.
[19]
Dennoch schwächten sich, wie oben erwähnt, die
bekannten Verbindungen zwischen Gruppenzugehörigkeit, Parteiidentifikationen
und Wahlentscheidung nur sehr langsam ab – die Sozialstruktur der alten Bundesrepublik
blieb weiterhin politisiert. Dies zeigt sich übrigens nicht nur im Wahlverhalten,
sondern auch auf der Ebene der politischen Eliten: So gehörten noch im 11.
Deutschen Bundestag (1987-1990) nach eigener Auskunft rund zwei Drittel der
Unions-Abgeordneten der katholischen Konfession an,
[20]
obwohl der Bevölkerungsanteil der Katholiken in der alten
Bundesrepublik bei lediglich etwa 50 Prozent lag. Unter den Abgeordneten der
anderen Fraktionen gaben hingegen jeweils weniger als 15 Prozent an, dieser
Konfession anzugehören. Umgekehrt waren im 11. Bundestag 97 Prozent der SPD-Abgeordneten,
aber nur acht Prozent der Mandatsträger der Union Mitglied einer DGB-Gewerkschaft.
[21]
Auf diese Weise beeinflussen die großen Auseinandersetzungen
des 19. Jahrhunderts noch mehr als hundert Jahre nach ihrem Aufbrechen das
politische Geschehen in der alten Bundesrepublik, auch wenn dies den meisten
Akteuren kaum bewußt sein dürfte.
Aufgrund dieser Zusammenhänge gingen am Beginn
der 1990er Jahre viele politische Beobachter davon aus, daß die SPD in den
neuen Ländern von einem strukturellen Vorteil profitieren würde: Zum Zeitpunkt
der Wiedervereinigung war der Anteil der Arbeiter an der wahlberechtigten
Bevölkerung im Osten wesentlich höher als im Westen.
[22]
Zugleich spielte aus historischen Gründen das Christentum
und insbesondere der Katholizismus in den neuen Ländern kaum eine Rolle.
Im Verlauf der 1990er Jahre hat sich an diesen
Verhältnissen nichts Substantielles geändert. So gehörten sechs Jahre nach der Wiedervereinigung lediglich etwa
fünf Prozent der ostdeutschen Bevölkerung der katholischen Kirche an; der
Anteil der Protestanten an der Bevölkerung der neuen Länder lag bei rund 24
Prozent. Im gleichen Jahr waren in den alten Ländern immer noch etwa 37 Prozent
der Bürger Angehörige der evangelischen und 42 Prozent Mitglieder der katholischen
Kirche.
[23]
Die Bemühungen der beiden großen Kirchen, den Osten zu rechristianisieren,
tragen bislang offensichtlich keine Früchte; wenn es in Zukunft zu einer Angleichung
zwischen Ost- und Westdeutschland kommen wird, dann vermutlich eher durch
einen weiteren Bedeutungsverlust des Christentums im Westen.
1992 |
1994 |
1999 |
|||
West |
Ost |
West |
Ost |
West |
Ost |
39 |
44 |
37 |
43 |
34 |
41 |
Tabelle 2: Anteil der Arbeiter an den Erwerbstätigen
(nur Vollzeit). Einträge sind Prozentwerte.
Quelle: Errechnet
aus den Statistischen Jahrbüchern für die Bundesrepublik Deutschland
Auch bei den Berufsgruppen ist keine Annäherung
zwischen Ost- und Westdeutschland zu verzeichnen. Zwar ist in den neuen Ländern
wie in der alten Bundesrepublik seit der Wiedervereinigung der Anteil der
Arbeiter an der Erwerbsbevölkerung kontinuierlich zurückgegangen. Da sich
diese Entwicklung im Westen aber schneller vollzieht, sind die bekannten Ost-West-Unterschiede
im Verlauf der 1990er Jahre sogar etwas größer geworden. Hinzu kommt, daß
sich unabhängig von diesen objektiven Veränderungen nach wie vor ein großer
Teil der Ostdeutschen selbst als Arbeiter einstuft.
Resultieren aus diesen Gruppenzugehörigkeiten zwölf
Jahre nach der Wiedervereinigung nun Parteibindungen, die mit den aus den
Westen bekannten Mustern vergleichbar sind? Die Antwort fällt unterschiedlich
aus, je nachdem, welche Gruppen betrachtet werden.
So identifizieren sich etwa 40 Prozent aller ostdeutschen
Katholiken mit den Unionsparteien; unter denen, die mehrmals pro Jahr am Gottesdienst
teilnehmen, liegt dieser Anteil sogar bei knapp 50 Prozent. Dieser Befund
unterscheidet sich nicht signifikant von den aus den alten Bundesländern bekannten
Verhältnissen.
[24]
Offensichtlich ist es der CDU in den neuen Ländern gelungen,
an traditionelle Bindungen anknüpfen.
[25]
Angesichts des sehr niedrigen Katholikenanteils in Ostdeutschland
ist der Einfluß dieser Bevölkerungsgruppe auf das Wahlergebnis jedoch zu vernachlässigen.
Ein ganz anderes Bild ergibt sich hingegen bei
den Arbeitern. Hier ist der Anteil derjenigen, die sich mit der SPD identifizieren,
kaum gestiegen. Nach wie vor bestehen aber deutliche Unterschiede zwischen
beiden Landesteilen: Der Anteilswert im Osten ist um rund ein Drittel niedriger
als im Westen und entspricht fast exakt dem Bevölkerungsdurchschnitt, während
sich unter den Arbeitern in den alten Ländern immer noch (etwas) mehr SPD-Anhänger
finden als in anderen Berufsgruppen.
|
1994 |
1998 |
2002 |
|||
|
West |
Ost |
West |
Ost |
West |
Ost |
Arbeiter mit
SPD-PI |
35 |
21 |
36 |
23 |
36 |
23 |
Tabelle 3: Anteil der Arbeiter, die sich als langfristige SPD-Anhänger
sehen.
N=3757. Quelle: DFG-Projekt „Politische
Einstellungen, politische Partizipationen und Wählerverhalten im vereinigten
Deutschland“
Eine dauerhafte, mit der Bindung der Katholiken
an die Union vergleichbare Mobilisierung der Arbeiterschaft zugunsten der
SPD läßt sich in den neuen Ländern mithin nicht nachweisen. Im Gegenteil:
der Anteil derjenigen Arbeiter, die sich keiner Partei besonders verbunden
fühlen, ist zwar gesunken, liegt aber noch immer über dem ohnehin recht hohen
Durchschnittswert der parteipolitisch Ungebundenen in den neuen Ländern.
Abbildung 3: Bürger mit Parteiidentifikation in den 1990er
Jahren.
N= 129.518 (West) / 84139
(Ost) Quelle: Kumulierte Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen
Wie in Abbildung 3 zu erkennen ist stellen die
Ostdeutschen in dieser Hinsicht insgesamt den „moderneren“ Teil des Elektorats
dar: Obwohl in der Bundesrepublik wie in vielen anderen westlichen Demokratien
seit langem über eine in der internationalen Forschungsliteratur als „dealignment“
bezeichnete allmähliche Auflösung von Parteibindungen diskutiert wurde, die
einerseits auf die oben angesprochene Auflockerung der sozialen Milieus, andererseits
auf das steigende Bildungsniveau
[26]
zurückgeführt wurde, identifizierten sich in den späten
1970er und frühen 1980er Jahren etwa 80 Prozent der erwachsenen Westdeutschen
mit einer politischen Partei. Dieser Anteil sank nur langsam. Kurz nach der
Wiedervereinigung betrachteten sich im Westen immer noch etwa 70 Prozent der
Bürger als langfristige Anhänger einer Partei, während der entsprechende Anteil
im Osten zunächst nur bei rund 60 Prozent lag und dann sogar auf weniger als
50 Prozent absank, wodurch sich die Kluft zwischen Ost und West nochmals vertiefte.
Seitdem verringerte sich der Anteil der Parteiidentifizierer
im Westen fast kontinuierlich, aber sehr langsam.
[27]
In den neuen Ländern hingegen läßt sich kein
Trend erkennen. Abgesehen von dem raschen, aber kurzlebigen Anstieg während
des „Superwahljahres“ von 1994, ist es nicht zu einer nennenswerten Zunahme
der Parteibindungen gekommen. Vielmehr schwanken hier die monatlich gemessenen
Werte unsystematisch und mit relativ großen Ausschlägen um den insgesamt niedrigeren
Mittelwert
[28]
, was darauf schließen läßt, daß einmal erworbene Parteibindungen
in den neuen Ländern rascher wieder aufgegeben werden als im Westen. Analysen
des Sozio-Ökonomischen Panels (SOEP), mit denen sich Entwicklungen auf der
Individualebene über die Zeit hinweg nachvollziehen lassen, bestätigen diese
Vermutung im wesentlichen.
[29]
Auch in dieser Hinsicht lassen sich also bislang keine
Hinweise auf eine Angleichung des Ostens an den Westen finden. Vielmehr steht
zu erwarten, daß es – ähnlich wie im Falle der Kirchenmitgliedschaften – langfristig
durch Veränderungen im Westen zu einer Annäherung beider Landesteile kommen
wird.
Der niedrigere Anteil an parteigebundenen Bürgern
erklärt einen Teil der in Abschnitt II skizzierten Ost-West-Unterschiede:
Dort, wo die Parteiidentifikation als stabilisierendes Element fehlt, müssen
nach dem Ann-Arbor-Modell kurzfristige Einflüsse, d.h. aktuelle politische
Themen sowie die Images der Spitzenpolitiker, einen größeren Einfluß auf die
Wahlentscheidung gewinnen, woraus wiederum eine höhere Zahl an Nicht- und
Wechselwählern resultiert. Eine wesentliche Frage ist mit dieser Erklärung
aber damit noch nicht beantwortet: Warum konnten SPD und PDS seit Mitte der
1990er Jahre in den neuen Ländern vergleichsweise gute Ergebnisse erzielen,
obwohl es dort zumindest den Sozialdemokraten an langfristigen Anhängern mangelt?
Und warum mußte umgekehrt die Union bei den beiden letzten Wahlgängen in den
neuen Ländern erheblich schlechtere Ergebnisse hinnehmen als in Westdeutschland?
Unserer Auffassung nach läßt sich dies durch die gesellschaftspolitischen
Präferenzen der neuen Bundesbürger erklären.
IV.
Politische Zielvorstellungen in Ost und West
Daß sich Ost- und Westdeutsche hinsichtlich ihrer
grundlegenden politischen Wertorientierungen nach wie vor deutlich unterscheiden,
ist mittlerweile empirisch gut belegt.
[30]
Während man unmittelbar nach der Wiedervereinigung davon
ausgegangen war, daß in der DDR gesellschaftspolitische Wertorientierungen
aus der Nachkriegszeit konserviert worden seien, so zeigte sich bald, daß
auch in der DDR ein Wertewandel stattgefunden hatte, der aber offensichtlich
einen anderen Verlauf als in der Bundesrepublik genommen hatte. Rasch wurde
deutlich, daß die ehemaligen DDR-Bürger zwar dem Wert der Demokratie und der
individuellen Leistung generell positiv gegenüber stehen, zugleich aber den
Wert der Gleichheit viel stärker betonen als die Westdeutschen. Infolgedessen
bevorzugen sie das Modell eines redistributiven Staates, der massiv in die
wirtschaftliche und soziale Entwicklung eingreift, während die Bürger der
alten Bundesrepublik eher einem liberalen Demokratiekonzept anhängen.
[31]
Wie in Tabelle 4 zu erkennen ist, haben sich im Verlauf
des Transformationsprozesses, dessen bisherige Ergebnisse von den Ostdeutschen
vor dem Hintergrund ihrer spezifischen Sozialisation interpretiert werden,
die Ost-West-Differenzen bislang eher verstärkt als abgeschwächt.
[32]
Dies wird im Längsschnitt besonders deutlich, wenn
man nicht nur die Zustimmung zu bestimmten Aussagen betrachtet, sondern die
Anteile derjenigen, die in beiden Landesteilen den betreffenden Aussagen zustimmen,
zueinander ins Verhältnis setzt (in Tabelle 4 in Klammern ausgewiesen). Schwankungen
des Meinungsklimas, die alte und neue Länder in gleicher Weise betreffen,
werden auf diese Weise kompensiert. So stimmten die Ostdeutschen der Aussage,
daß sich Gruppeninteressen „bedingungslos“ dem Allgemeinwohl unterordnen sollten,
über den gesamten Befragungszeitraum hinweg rund anderthalbmal häufiger zu
als die Westdeutschen. Noch stärkere und ebenfalls weitgehend konstante Differenzen
lassen sich für die Items „Der Sozialismus ist eine gute Idee, die bisher
nur schlecht ausgeführt wurde“ und „Die wichtigsten Wirtschaftsunternehmen
müssen verstaatlicht werden“ nachweisen.
|
1994 |
1998 |
2002 |
|||
|
West |
Ost |
West |
Ost |
West |
Ost |
„Gruppeninteressen
bedingungslos dem Allgemeinwohl unterordnen“ |
38 |
56 |
38 |
54 |
34 |
52 |
„Sozialismus
gute Idee“ |
25 |
61 |
26 |
60 |
23 |
56 |
„Verstaatlichung
wichtiger Unternehmen“ |
16 |
40 |
11 |
36 |
10 |
31 |
Tabelle 4: Demokratische Orientierungen in West- und Ostdeutschland
1994-2002
Die Eintragungen entsprechen
dem Prozentsatz der Befragten, der den betreffenden Aussagen zugestimmt hat.
In Klammern: Verhältnis Zustimmung Ost / Zustimmung West. N=8330. Quelle:
DFG-Projekt „Politische
Einstellungen, politische Partizipationen und Wählerverhalten im vereinigten
Deutschland.“
Solche charakteristischen Unterschiede zwischen
beiden Landesteilen zeigen sich aber nicht nur in der Bewertung vergleichsweise
abstrakter Prinzipien wie der Idee des Sozialismus oder der pluralistischen
Interessenvertretung, sondern auch unmittelbar in den politischen Präferenzen
der Bürger. So waren 1998 56 Prozent der Befragten aus den neuen Ländern der
Ansicht, der Staat sei „auf jeden Fall“ dafür verantwortlich, einen „Arbeitsplatz
für jeden bereitzustellen, der arbeiten will“ (West: 39 Prozent). Noch größere
Ost-West-Differenzen ergaben sich bei der Frage, ob der Staat die Gleichstellung
von Frauen fördern solle. Hier sahen in den neuen Ländern zwei Drittel der
Befragten den Staat „auf jeden Fall“ in der Pflicht, während im Westen nur
rund 40 Prozent diesem Item diesem Item zustimmten.
[33]
|
West |
Ost |
„Eine berufstätige
Mutter kann zu ihren Kindern eine ebenso enge Beziehung aufbauen wie
eine nicht berufstätige Mutter.“ |
69 |
83 |
„Hausfrau zu
sein ist genauso erfüllend wie eine Berufstätigkeit.“ |
47 |
29 |
„Beide Ehepartner
sollten zum Haushaltseinkommen beitragen.“ |
76 |
94 |
Tabelle
5: Wahrnehmung der Frauenrolle in Ost- und West. Die Eintragungen entsprechen
dem Prozentsatz der Befragten, der den betreffenden Aussagen zugestimmt hat.
N= 1924.
Quelle: World Values Survey 1997.
Vor dem Hintergrund der – verglichen mit der Bundesrepublik
– sehr hohen Frauenerwerbsquote in der früheren DDR, die durch ein flächendeckendes
System der Kinderbetreuung ermöglicht wurde, gewinnt diese allgemeine Forderung
eine besondere Relevanz. Die Berufstätigkeit von Frauen und insbesondere auch
von Müttern gilt in den neuen Ländern – vermutlich auch aufgrund der wirtschaftlichen
Verhältnisse - nach wie vor als eine Selbstverständlichkeit, während die Rolle
der „Nur-Hausfrau“ von einer überwältigenden Mehrheit der Befragten abgelehnt
wird (vgl. Tabelle 5). Im Westen hingegen vertritt ein deutlich größerer Teil
der Befragten die Auffassung, daß eine Frau nicht unbedingt berufstätig sein
muß bzw. während der Erziehungsphase nicht berufstätig sein sollte.
In diesem Zusammenhang dürften die Aussagen der
Regierungskoalition zur staatlichen Kinderbetreuung einerseits und das konservative
Image der Union und ihres Kandidaten, das auch durch die (innerhalb des eigenen
Lagers erkennbar umstrittene) Aufnahme Katherina Reiches in das „Kompetenzteam“
nicht zu korrigieren war, eine wichtigen Einfluß auf die Wahlentscheidung
der Ostdeutschen gehabt haben. Auch das allmähliche Abrücken Schröders von
der Haushaltskonsolidierung nach der Flutkatastrophe, seine Betonung der Nähe
zu den Arbeitnehmern und last not least seine Haltung in der Irak-Frage, die
insgesamt den Eindruck einer Art Re-Sozialdemokratisierung der SPD und ihres
Vorsitzenden erweckten, standen in Einklang mit den politischen Grundüberzeugungen
der Ostdeutschen. Dies belegt nicht zuletzt das Ergebnis der ersten Politbarometer-Befragung
nach der Wahl, die im Umfeld der Koalitionsverhandlungen durchgeführt wurde:
Während die SPD in den alten Ländern gegenüber dem September erheblich an
Zustimmung einbüßte, konnte sie in den neuen Ländern sogar an Unterstützung
gewinnen.
Nur die Verbindung dieser beiden ostdeutschen Besonderheiten
– mittelfristig stabile politische Präferenzen, die sich deutlich von den
Zielvorstellungen der Westdeutschen unterscheiden einerseits, ein Mangel an
stabilisierend wirkenden Parteiloyalitäten andererseits – erklärt aus unserer
Sicht, warum sich seit der Wiedervereinigung die Wahlergebnisse in beiden
Landesteilen so stark voneinander unterscheiden.
V.
Fazit und Ausblick
Zwölf Jahre nach der Vereinigung der beiden deutschen
Staaten hat sich das Wahlverhalten in den neuen Ländern keineswegs an die
aus dem Westen bekannten Muster angeglichen. Insbesondere wurden während der
SED-Herrschaft die traditionellen Bindungen der Arbeiter an die Sozialdemokratie
zerstört. Darüber hinaus haben die ehemaligen DDR-Bürger, die über einen Zeitraum
von mehr als fünf Jahrzehnten keine Erfahrungen mit demokratischen Wahlen
sammeln konnten, insgesamt weitaus seltener stabile Bindungen an die politischen
Parteien entwickelt als ihre Mitbürger aus der alten Bundesrepublik. Beiden
großen Parteien fehlt es deshalb in den neuen Ländern an langfristigen Anhängern.
Infolgedessen orientieren sich die Ostdeutschen bei ihrer Wahlentscheidung
in viel stärkerem Umfang an kurzfristigen Einflüssen, d.h. an politischen
Themen und an den zur Wahl stehenden Kandidaten als die Westdeutschen. Diese
grundsätzlichen Unterschiede sind für die aus westlicher Sicht ungewöhnlich
großen Schwankungen im Wahlverhalten der neuen Bundesbürger verantwortlich.
Davon abgesehen unterscheiden sich Ost- und Westdeutsche
in ihren grundlegenden politischen Präferenzen. Die Ostdeutschen erwarten
vom Staat ein größeres Engagement im Bereich der Frauen-, Wirtschafts- und
Arbeitsmarktpolitik, befürworten generell ein aktives Eingreifen des Staates
in die gesellschaftliche Entwicklung und messen dem Wert der Gleichheit mehr
Bedeutung zu als die Westdeutschen. Bei der letzten Bundestagswahl konnte
die SPD mit hoher Wahrscheinlichkeit von diesen Dispositionen profitieren.
Daraus aber den Schluß zu ziehen, daß es der SPD
mit der Bundestagswahl von 2002 gelungen sei, dauerhaft zu stärksten Partei
in den neuen Ländern zu werden, die mittelfristig sogar die PDS beerben könnte,
wäre aus unserer Sicht voreilig: Gerade weil die Ostdeutschen bislang kaum
stabile Parteiloyalitäten entwickelt haben, sind sie politisch leichter zu
enttäuschen und werden sich in diesem Fall auch rascher von der SPD abwenden
als deren westdeutsche Wähler.
[1] Forschungsgruppe Wahlen: Bundestagswahl 1990. Eine Analyse der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl am 2. Dezember 1990. Mannheim 1990, S. 35.
[2] Im Westen hatten bei dieser Wahl rund 47 Prozent der Arbeiter ihre Stimme der SPD gegeben, für die Union entschieden sich immerhin 39 Prozent. Vgl. Forschungsgruppe Wahlen 1990, S. 31.
[3]
Dalton, Russell J. und Bürklin, Wilhelm: The Two
German Electorates: The Social Base of the Vote in 1990 and 1994. In: German
Politics and Society 13 (1995), S. 79-99
, hier S. 84.
[4]
Vgl. Dalton/Bürklin S. 94.
[5] Arzheimer, Kai und Falter, Jürgen W.: "Annäherung durch Wandel?" Das Ergebnis der Bundestagswahl 1998 in Ost-West-Perspektive. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 48 (1998) B52, S. 33-43 .
[6] Vgl. z.B. Forschungsgruppe Wahlen: Bundestagswahl 1998. Eine Analyse der Wahl vom 27. September 1998, S. 78.
[7] Maier, Jürgen und Schmitt, Karl: Stabilität und Wandel regionaler Wählerstrukturen in Ostdeutschland 1990- 1999. In: Brettschneider, Frank, van Deth, Jan und Roller, Edeltraud (Hrsg.): Das Ende der politisierten Sozialstruktur? Opladen 2002, S. 81-108 , hier S. 82.
[8] Wie in der Wahlforschung üblich, betrachten wir die Nichtwahl als eine Kategorie des Wahlverhaltens und beziehen deshalb die Anteile der Parteien nicht auf die gültigen Stimmen, sondern auf die Wahlberechtigten. Erst durch diese Form der Prozentuierung werden die tatsächlichen Mobilisierungsleistungen der Parteien erkennbar, die sonst durch die Unterschiede in der Wahlbeteiligung verdeckt würden. Ungültige Stimmen wurden der Kategorie „Sonstige“ zugeschlagen.
Die Berechnung der Maßzahl selbst entspricht dem unten verwendeten Pedersen-Index, der aber üblicherweise nur für Längsschnittvergleiche eingesetzt wird.
[9] Unterschiede in der Wahlbeteiligung sind für die Entstehung der sogenannten Überhangmandate mitverantwortlich.
[10] Der Pedersen-Index erfaßt lediglich die saldierten Wanderungsbewegungen zwischen den politischen Lagern. Erfahrungsgemäß verbirgt sich hinter dieser Nettoveränderung eine weitaus größere Zahl von individuellen Wanderungsbewegungen, die sich teilweise ausgeleichen.
[11] Da der Pedersen-Index die Veränderungen gegenüber der jeweils vorangegangenen Wahl beschreibt, lassen sich für die alte Bundesrepublik 14 Werte errechnen. Der bislang höchste Wert von 15,6 wurde 1953 verzeichnet, als zahlreiche kleine Parteien von der politischen Bühne verschwanden.
[12]
Das Model ist nach dem Sitz der University of Michigan
benannt, an der es entwickelt wurde. Seine ursprüngliche Fassung findet
sich in
Campbell, Angus, Converse, Philip E., Miller, Warren E. und Stokes, Donald
E.: The American Voter. New
York 1960
.
[13] Zum Zusammenhang zwischen sozial-strukturellen Merkmalen und der Herausbildung von Parteiidentifikation vgl. Dalton, Russell J., Beck, Paul Allen und Flanagan, Scott C.: Electoral Change in Advanced Industrial Democracies. In: Dalton, Russell J., Flanagan, Scott C. und Beck, Paul Allen (Hrsg.): Electoral Change in Advanced Industrial Democracies: Realignment or Dealignment. Princeton 1984, S. 3-22 , hier Seite 11ff.
[14]
Den einflußreichsten Versuch, diese für Westeuropa charakteristische
„Politisierung der Sozialstruktur“ zu erklären, haben Lipset und Rokkan
(
Lipset, Seymour Martin und Rokkan, Stein: Cleavage Structures, Party Systems,
and Voter Alignments: An Introduction. In:
Lipset, Seymour Martin und Rokkan, Stein (Hrsg.): Party Systems and Voter
Alignments: Cross-National Perspectives. New York, London 1967, S. 1-64
), vorgelegt.
[15] Vgl. Lepsius, M. Rainer: Parteiensystem und Sozialstruktur: Zum Problem der Demokratisierung der deutschen Gesellschaft [zuerst 1966]. In: Ritter, Gerhard A. (Hrsg.): Deutsche Parteien vor 1918. Köln 1973, S. 56-80 .
[16]
Vgl.
Winkler, Jürgen R.: Die Politisierung der Sozialstruktur. Der Einfluß der
Sozialstruktur auf die Wählerrekrutierung der Parteifamilien im Deutschen
Reich. In: Brettschneider, Frank, van Deth, Jan und Roller, Edeltraud (Hrsg.):
Das Ende der politisierten Sozialstruktur. Opladen
2002, S. 129-158
.
[17] Vgl. Conradt, David P.: Changing German Political Culture. In: Almond, Gabriel A. und Verba, Sidney (Hrsg.): The Civic Culture Revisited. Boston, Toronto 1980, S. 212-272 .
[18] Gluchowski, Peter und Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Sozialstrukturelle Grundlagen des Parteienwettbewerbs in der Bundesrepublik Deutschland. In: Gabriel, Oscar W., Niedermayer, Oskar und Stöss, Richard (Hrsg.): Parteiendemokratie in Deutschland. Opladen 1997, S. 179-208 , hier S. 187.
[19] Pappi, Franz Urban: Die politisierte Sozialstruktur heute: Historische Reminiszenz oder aktuelles Erklärungspotential? In: Brettschneider, Frank, van Deth, Jan und Roller, Edeltraud (Hrsg.): Das Ende der politisierten Sozialstruktur. Opladen 2002, S. 25-46 , hier S. 37.
[20] Schindler, Peter: Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1949-1999. Baden-Baden 1999 , S. 665ff.
[21] Schindler S. 723.
[22] Geißler, Rainer: Die Sozialstruktur Deutschlands. Ein Studienbuch zur gesellschaftlichen Entwicklung im geteilten und vereinten Deutschland. Opladen 1992 , S. 149.
[23] Eigene Berechnung aus den Angaben im Statistischen Jahrbuch für 1998.
[24] Die Signifikanz der Zusammenhänge wurde mit logistischen Regressionsmodellen überprüft, auf die wir an dieser Stelle aus Platzgründen nicht näher eingehen konnten. Die Berechnungen basieren auf den Ergebnissen des von der DFG geförderten Projektes „Politische Einstellungen, politische Partizipationen und Wählerverhalten im vereinigten Deutschland“. Wegen der geringen Zahl von ostdeutschen Katholiken wurden die Ergebnisse der Befragungswellen von 1994, 1998 und 2002 zusammengefaßt.
[25] Ob diese Bindungen bereits zu DDR-Zeiten bestanden oder nach der Wiedervereinigung gewissermaßen reaktiviert wurden, läßt sich mit den uns zur Verfügung stehenden Daten nicht ermitteln.
[26] Dalton, Russell J.: Cognitive Mobilization and Partisan Dealignment in Advanced Industrial Democracies. In: Journal of Politics 46 (1984), S. 264-284 .
[27] In den alten Ländern sank der Anteil derjenigen Bürger, die sich mit einer politischen Partei identifizieren, seit 1991 um etwa 0,5 Prozentpunkte pro Jahr.
[28] Im Zeitraum von 1991 bis 2000 betrachteten sich in den alten Ländern im Mittel 64,8 Prozent der Befragten als langfristige Anhänger einer politischen Partei. In den neuen Ländern hingegen sahen sich in der gleichen Periode nur 54 Prozent der Bürger als Parteianhänger.
[29] Schmitt-Beck, Rüdiger: Die dauerhafte Parteiidentifikation - nur noch ein Mythos? Eine Längsschnittanalyse zur Identifikation mit den politischen Parteien in West- und Ostdeutschland. In: Informationsdienst soziale Indikatoren (2001) 6, S. 1-5 .
[30] Arzheimer, Kai und Klein, Markus: Die friedliche und die stille Revolution. Der Wandel gesellschaftspolitischer Wertorientierungen in Deutschland seit dem Beitritt der fünf neuen Länder. In: Gabriel, Oscar W. (Hrsg.): Politische Einstellungen und politisches Verhalten im Transformationsprozeß. Opladen 1997, S. 37-57 ; Arzheimer, Kai und Klein, Markus: Gesellschaftspolitische Wertorientierungen und Staatszielvorstellungen im Ost-West-Vergleich. In: Falter, Jürgen W., Gabriel, Oscar W. und Rattinger, Hans (Hrsg.): Wirklich ein Volk? Die politischen Orientierungen von Ost- und Westdeutschen im Vergleich. Opladen 2000, S. 363-402 .
[31] Fuchs, Dieter: Welche Demokratie wollen die Deutschen? Einstellungen zur Demokratie im vereinigten Deutschland. In: Gabriel, Oscar W. (Hrsg.): Politische Orientierungen und Verhaltensweisen im vereinigten Deutschland. Opladen 1997, S. 81-113 .
[32] Vgl. dazu auch Meulemann, Heiner: Werte und Wertwandel im vereinten Deutschland. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 52 (2002) B37-38, S. 13-22 .
[33] Arzheimer/Klein 2000 S. 378.